Das Verbotsverfahren gegen die HDP, Frauenrechte und Widerstand in der Türkei
Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit wurde der Verbotsantrag gegen die zweitgrößte Oppositionspartei HDP in der Türkei vom türkischen Verfassungsgericht im Juni angenommen. Während Repressionen gegen Oppositionelle in Russland, Hongkong und anderswo zurecht von der deutschen Politik kritisiert werden, fällt die Reaktion bei diesem gravierenden Schritt sehr zurückhaltend aus. Weshalb will das AKP-Regime die prokurdische Opposition verbieten und warum gerade jetzt?
In der Türkei findet momentan eine weitere Etappe des Umbaus des Systems statt. Das „Greater Turkey“ Projekt soll zum 100. Jahrestags der Republikgründung 2023 abgeschlossen sein, neokoloniale Expansion im kurdischen Nordsyrien eingeschlossen. Dennoch gibt es Probleme, die Wirtschaft ist nicht erst seit der Corona-Pandemie schwer angeschlagen und der Verfall der Lira kann trotz mehrfachem Austausch der Notenbankchefs nicht verhindert werden. An den Universitäten flammte Widerstand gegen die Einsetzung eines AKP-Rektors auf und die Frauen*bewegung protestiert massenhaft gegen den Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen* gegen Gewalt.  
Wir diskutieren diese Fragen mit zwei tollen Gästen. Ertuğrul Kürkçü ist sozialistischer Politiker und Schriftsteller, war lange in der Türkei in Haft und ist Ehrenvorsitzender der HDP. Momentan steht er im „Kobane-Prozess“ vor Gericht, dort soll er wegen der Solidarisierung mit dem Widerstand in Kobane gegen den IS 2014 zu ca. 140 Jahren Haft verurteilt werden.
Svenja Huck ist freie Journalistin und schreibt zur türkischen Frauen*bewegung und aktuellen Protesten in der Türkei für analyse&kritik, das nd, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und weitere Zeitungen. Ihre Abschlussarbeit thematisiert den linken Gewerkschaftsverband DISK.

Nach einer kurzen Pause zeigen wir im Anschluss einen Film von Ferit Karahan, der erst kürzlich seineDeutschlandpremiere bei der diesjährigen Berlinale feierte:

Brother's Keeper (Okul Tıraşı, 2021)
In einem abgelegenen Internat lernen begabte kurdische Schüler die harten Sitten des türkischen Erziehungssystems kennen. Der Fahnenappell gehört genauso zum Alltag, wie das Unsichtbarmachen der der kurdischen Gebiete im Geografieunterricht und die permanente Überwachung. Die feinsinnig erzählte Geschichte des zwölfjährigen Yusuf und seinem Freund Memo steht im Zentrum der Geschichte. Memo wird krank, doch Yusuf weigert sich, ihn in seinem Bett schlafen zu lassen. Am nächsten Tag verschlimmert sich sein Zustand, der Versuch ihn zu retten offenbart die korrupte und inkompetente Fassade des Staatsapparates. Vieles an diesem leise erzählten Film kann als Parabel auf die Situation in der heutigen Türkei interpretiert werden. In jedem Fall ein Manifest der Solidarität zwischen Freunden und eine Kritik der Scheinwelten und alltäglichen Lügen.

Regie: Ferit Karahan
Darsteller: Samet Yıldız, Ekin Koç, Mahir Ipek, Melih Selçuk, Cansu Fırıncı