royalscandalcinema

Proposed: Donnerstag, 13 Dezember

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Proposed

RECONSTITUIREA

[1969, Lucian Pintilie, RO/en, 100 Minuten]

Einführung: Patricia Pfeifer, Filmwissenschaftlerin (Universität Zürich)

 

Auf dem Höhepunkt gesellschaftspolitischer Liberalisierung brachte Lucian Pintilie 1969 mit «Reconstituirea» einen Film ins Kino, der in vielerlei Hinsicht Kritik am kommunistischen Regime Rumäniens übte. Der wachsende Erfolg des Films gab den Behörden zu denken: Kurz darauf war wieder Schluss mit künstlerischer Freiheit, die Zensur wurde reaktiviert. Eingeführt wird der Film durch Patricia Pfeifer, Filmwissenschaftlerin an der Universität Zürich und profunde Kennerin des osteuropäischen Filmschaffens.

Der Film «Reconstituirea» basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte des jungen Schriftstellers Horia Pătraşcu. Pătraşcu beschreibt darin eine bizarre Szenerie, die sich anfangs der 1960er Jahre in der rumänischen Stadt Caransebeș ereignet haben soll: Ein Milizsoldat behauptet, die beiden Jugendlichen Vuică and Nicu hätten betrunken eine Schlägerei angezettelt. Zusammen mit einem Erzieher, einem Staatsanwalt und einem Kamerateam schleppt er die beiden an den Tatort, wo die Szene für die Kamera nachgestellt werden soll – als Lehrstück gegen Alkoholismus und zur Stärkung der öffentlichen Moral. Der Milizionär zwingt sie, die Szene immer und immer wieder nachzuspielen. Die Parteifunktionäre finden Gefallen an der Demütigung der beiden Jugendlichen. Der Erzieher fordert mehr Realismus. Die Meute grölt aus dem Off. Ein tragisches Ende bahnt sich an.

Als Tragikomödie inszeniert, legte Lucian Pintilie mit «Reconstituirea» eine scharfe Kritik am kommunistischen Regime vor – zu einer Zeit, in welcher Nicolae Ceaușescu, der erst seit drei Jahren an der Macht war, als Hoffnungsträger gehandelt wurde und die Kulturpolitik Rumäniens als gesellschaftspolitisch liberal galt. Pintilie fokussierte auf den Missbrauch von Macht, auf die Inkompetenz und Willkür der Funktionäre und die Gleichgültigkeit der Mitbürger. «Reconstituirea» kann als Metapher gelesen werden für die Abstumpfung einer Gesellschaft, die unter der harten Hand eines totalitären Regimes steht, unfähig ihr Geschick zu kontrollieren, gleichsam indifferent gegenüber Verfolgungen von Mitmenschen.

2004 führte Pintilie in einem Interview aus, dass seine Entscheidung, den Film zu drehen, auch davon beeinflusst war, dass ein im nahestehender Schauspieler und Freund kurz davor wegen Verstosses gegen das rumänische «Sodomie-Gesetz», das Homosexualität unter Strafe stellte, denunziert und verhaftet wurde. Dabei sei dieser gezwungen worden, mit seiner Ehefrau Geschlechtsverkehr zu praktizieren, während die Ermittler daneben standen und dabei zusahen. Ebenso wollte Pintilie ein Zeichen setzen gegen die Ermittlungsmethoden des kommunistischen Regimes, insbesondere jener der Geheimpolizei Securitate, die von abermaligen Verhören und Folterungen geprägt waren. So sollte der Milizionär im Film ursprünglich als Angehöriger der Securitate gezeigt werden, was das Regime allerdings verhinderte. Ob es sich damit einen Gefallen getan hat, steht auf einem anderen Stern: Gerade die Darstellung der Miliz sollte zu einem der meist gewürdigten Aspekte des Films werden, da diese mit den wohlmeinenden Charakterisierungen der Milizionäre in zeitgenössischen Filmen scharf kontrastierte.

Im Kontext einer angestrebten gesellschaftlichen Liberalisierung gestattete das Regime die Aufführung des Films in einzelnen Kinos, wenn auch unter der Bedingung, dass dafür keine Werbung gemacht werden durfte. Mit der steigenden Popularität des Films, der zunehmenden Kritik am Regime und Randalen gegen Angehörige der Miliz, die vermeintlich oder reell im Zusammenhang mit der Vorführung standen, entschieden die Behörden, den Film aus den Kinos zu verbannen. Das Experiment einer liberaleren Filmpolitik wurde für beendet erklärt, die Filmschaffenden wieder unter schärfere Beobachtung gestellt und ihr Schaffen vehementer zensiert.

Der Film wird eingeführt durch die Filmwissenschaftlerin Patricia Pfeifer. Die profunde Kennerin des osteuropäischen Filmschaffens dürfte den regelmässigen Gästen von «royalscandalcinema» mit ihren Referaten zu den beiden Makavejev-Filmen «W. R. Misterije Organizma» und «Sweet Movie» in bester Erinnerung sein.

 

 

 

Über das Projekt «royalscandalcinema»

Seit der Erfindung des Kinos brachte das Filmschaffen regelmässig neue Skandale hervor, zum Teil unbeabsichtigt, zum Teil bewusst provoziert. Regisseure und Schauspielerinnen wurden verteufelt, Bürgerbewegungen sorgten sich um den Erhalt von Sitte und Moral und forderten Zensur. Trotz oder gerade wegen dieser Proteste sind viele Filme in die Annalen der Geschichte eingegangen.

Der Film- und Diskussionszyklus «royalscandalcinema» geht diesem Phänomen nach und unternimmt eine Reise in skandalträchtigere Zeiten, in welchen das Kino noch für Eklat sorgen konnte. Zusammen mit Referentinnen und Referenten aus unterschiedlichen akademischen Disziplinen zeigt «royalscandalcinema» auf, welche Grenzen unwiderruflich überschritten wurden, welche Bilder heute noch bewegen und geht der Frage nach, wie abgestumpft unsere Gesellschaft denn wirklich ist.

 

Datum & Zeit: 

Donnerstag, 13 Dezember, 2018 - 20:00

Kategorie: 

  • Diskussion/Vortrag
  • Film

Preis: 

Kollekte

E-Mail: 

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5400 Baden
Schweiz

Wegbeschreibung: 

neben Post/Postautostation/Bhf Gleis 1/Ecke Kurpark

Badens schönste Kulturstätte. Das über 100-jährige, älteste freistehende Kino der Schweiz ist das von Herzblut getränkte Zuhause von Kultur aller Sparten.

 

 

 

Kategorien: 

  • Kneipe/Café / Diskussion/Vortrag / Ausstellung / Film / Treffen / Musik/Konzert / Theater / Arbeitsplatz/Selbermachen

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